Die Europäische Union entstand als Endpunkt einer unsäglich blutigen Geschichte in Europa und durch die imperiale Politik vieler europäischer Länder zog sich diese blutige Spur über die ganze Welt. Heute ist man in Europa stolz, in einer neuen Ära zu leben. Die Abkürzung EU steht gleichermassen für den Slogan „Nie wieder Krieg“. Mit dem Ende des 2. Weltkrieges zerfielen praktisch alle imperialen Ansprüche der europäischen Staaten, was über die Jahre spürbare ökonomische Folgen hatte. Wenn auch aus heutiger Sicht der politische Zusammenschluss der europäischen Länder im Vordergrund steht, so ist es doch nicht zu verneinen, dass der politischen Annäherung eine ökonomische vorausging. Diese manifestierte sich in den Zusammenschlüssen der EWG (Europ. Wirtschaftsgemeinschaft) und der EGKS (Europ. Gemeinschaft für Kohle und Stahl). Somit suchten die Länder der Gemeinschaft sich gegen andere Länder und Weltregionen zu behaupten und nicht zu letzt auch ihre Pfründe aus der Kolonialzeit zu retten. Dadurch entstanden gerade im arabischen Raum, der vielerorts mit Öl gesegnet ist, wichtigste Handelsinteressen, die es durchzusetzen und zu verteidigen galt. Dies führte dazu, dass Europa vielfach Regimes unterstützte, die Menschenrechte und Demokratiebewegungen mit Füssen traten. Italiens ehemalige Kolonie Libyen ist ein Paradebeispiel.
Italien und Libyen
Mit brutalsten Mitteln eroberten die Italiener das heutige Libyen und fingen, an die nordafrikanische Küstenregion zu besiedeln, bis sie ca. 20 % der Bevölkerung stellten. Gipfel der italienischen Eroberung war die Ermordung des Senussi-Führer Omar al Mukhtar 1931.
Nach dem 2. Weltkrieg erlangte Libyen seine Unabhängigkeit in Form einer Monarchie unter König Idris und die Italiener verliessen das Land. Kurz darauf erfolgten die ersten Ölfunde und in der Folge davon wurde das Land interessant für westliche Länder, allen voran die USA, Grossbritanien und Italien. Dieser erneute Influx von ausländischen Kräften führte wieder zu Unruhen und gipfelte 1969 in der Machtübernahme von Oberst Gaddafi. Trotz seiner provokativen Politik gegen den Westen wurde er von verschiedenen westlichen Ländern mit Samthandschuhen angefasst und teilweise richtiggehend umgarnt. Als 2009 Gaddafi erstmals Italien besuchte, begrüsste er Silvio Berlusconi in einer Uniform, welche auf seiner rechten Brusttasche ein Foto der Festnahme des libyschen Freiheitskämpfer Omar al Mukhtar zeigte:
Detail des Fotos auf der rechten Brustasche von Gaddafis Uniform:
Trotz dieser (vielleicht berechtigten) Provokation, wurde Gaddafi in Berlusconi’s Italien als Freund empfangen. Über seine „Entgleisungen“ wurde geflissentlich hinweggesehen und obwohl lange bekannt war, dass Gaddafi ein Diktator der üblen Sorte war, wurde er unterstützt und hoffiert. In diesem Fall von Italien, einer Nation, die in der Vergangenheit ebenfalls das libysche Volk unterdrückte und terrorisierte.
Die Jasmin-Revolution
Die unerwartete Revolution in Tunesien und die noch weniger erwartete Ausbreitung der Befreiungsbewegung auf andere arabische Länder stellt nun den Westen vor ein Problem. Wer werden die neuen Ansprechpartner in diesen Ländern sein? Und wie verlässlich sind diese im Beibehalten der vergangenen wirtschaftlichen Abkommen? Bleiben wir gedanklich bei Libyen und nehmen wir an, dass sich die jetzige Opposition durchsetzen kann. Dann wird es Italien unter Berlusconi schwer haben, verhandlungstaktisch seine Interessen bei den neuen Regenten durchzubringen. Sollte sich in der italienischen Wirtschaft die Meinung durchsetzen, dass die neue Regierung ökonomische Interessen gefährde, dann wird auch politisch der Druck gross, die neuen Machthaber zu destabilisieren.
Der arabische Nationalismus
Ähnlich der Europäischen Union gibt es auch in der Arabischen Welt Bestrebungen, alle arabischen Länder in einer Union, der sog. Umma al Arabiya zusammenzuschliessen. Aus europäischer Sicht müsste dies der einzig logische Schluss sein, nie wieder Krieg auch für andere Nationen. Doch lässt dies die machpolitische Ausrichtung Europas auch zu? Wie das Beispiel Libyen in der neusten Geschichte gezeigt hat, vermutlich nicht. Zu gross sind die Partikularinteressen.
Den menschenverachtenden Diktatoren Ben Ali, Mubarak und Gaddafi wurden alle möglichen Privilegien und Unterstützung zugestanden, hoffen wir, dass den neuen demokratischen Bewegungen mindestens ebenso viel Unterstützung entgegengebracht wird. Auch wenn diese Bewegung vielleicht auf den ersten Blick eine Herausforderung in Form eines neuen und starken arabischen Nationalismus sein wird.